Der Widerstand der „Anti-Woken“

Es ist 2023. Die ganze GWUP ist von den „Woken“ besetzt.

Die ganze GWUP?

Nein, ein paar Unbeugsame hören nicht auf, den „Woken“ Widerstand zu leisten.

So heldenhaft sehen sie sich zumindest selbst.

Im „Humanistischen Pressedienst“, anscheneind das Äquivalent des kleinen gallischen Dorfes, ist vor zwei Wochen schon ein Text erschienen, der voll ist von diesem unermüdlichen Widerstandsgeist.

Und ich denke, wie kann man sich nur so blamieren!

Ganz ehrlich, manche Teile des Artikel lassen mich an jemanden denken, der empört von Pseudowissenschaft spricht, wenn er liest, dass die Summe der Winkel in einem Dreieck auch mehr als 180 Grad betragen könne – und damit offenbart, dass er noch nicht von nicht-euklidischer Geometrie gehört hat.

Ich hatte einen Text geplant, der sich mit dem verlinkten Artikel auseinandersetzen soll. Die ganze Auseinandersetzung um das Thema „Woke“ in der GWUP ist ja auch unter dem Gesichtspunkt der Auseinandersetzung um das Thema ABA (Applied Behavior Analysis) zu sehen, zu dem in der GWUP-Vereinszeitschrift vor ca. einem Jahr drei Artikel erschienen waren. Deshalb verwende ich hier auch den Hashtag #GWUPGate, auch wenn sich die Haltung der Mehrheit des Vereins zum Thema möglicherweise mittlerweile gedreht hat.

Auch die Kritik an ABA, wie sie von der autistischen Community, von Behindertenrechtsaktivisten und zunehmend auch von der Autismusforschung selbst geübt wird, fällt ja in den Bereich der „Critical Studies“ und gehört damit zu dem, was hier als „woke“ kritisiert wird.

Der geplante Text war aber schon nach kurzer Zeit so lang, dass ich beschlossen habe, ihn aufzuteilen. Dieser erste Teil geht auf den Begriff „woke“ ein, weitere Teile werden sich mit mit der Frage nach der Zahl der Geschlechter, mit „mātauranga Māori“, dem „Wissen der Maori“, dem Nahost-Konflikt und einem Buch der Philosophin Susan Neiman beschäftigen.


Nun also zum Thema „woke“:

Der Autor des oben verlinkten Artikels, „Florian Schwarz“ (ein Pseudonym) kritisiert das „Weltbild der Wokeness“. Er identifiziert sie mit den „Critical Studies“ und lässt es insgesamt so wirken, als sei „woke“ zumindest zunächst eine Selbstbezeichnung einer bestimmten Gruppe von Aktivisten.

Die Begriffsgeschichte von „woke“ ist aber unvollständig, wenn nicht darauf hingewiesen wird, dass es nur eine kurze Phase war, in der das Wort, das ursprünglich unter Schwarzen verwendet wurde, eine breitere Bedeutung als Wachsamkeit gegen systemische Ungerechtigkeit allgemein bekam.

Denn fast gleichzeitig wurde der Begriff auch von rechten Kommentatoren zur Verspottung von solchem Aktivismus eingesetzt. Und daraufhin von Linken auch schon mehr oder weniger wieder fallengelassen.

In meinem Umfeld spielt der Begriff „woke“ eigentlich keine Rolle mehr. Niemand, den ich kenne, bezeichnet sich selbst als „woke“ – allenfalls ironisch gebrochen, etwa, um zu erklären: Ich gehöre zu denen, die User XY als „woken Mob“ bezeichnet hat.

Zum Begriff „woke“ und seiner Geschichte:

Wer mag, kann – so wie ich – selbst mal auf Bluesky nach dem Begriff „wokeness“ suchen. Der Begriff „woke“ selbst ist für eine Suche nicht gut geeignet, weil die meisten Suchergebnisse sich auf „woke up“, also das Aufwachen im wörtlichen, nicht im übertragenen Sinne beziehen.

Bei mir kamen bei der Suche nach „wokeness“ praktisch ausschließlich entweder Suchergebnisse, die sich auf die Kritik an „wokeness“ bezogen, teils auch solche Kritk selbst, teils auch Erwähnungen des Begriffs, die ihn ironisch übertreiben. Einige wenige Ergebnisse sind nicht klar einzuordnen. In keinem Fall wurde der Begriff ernsthaft als Selbstbezeichnung benutzt oder dazu, andere Aktivisten anzuspornen.

Wer also 2023 einen Artikel schreibt über „Wokeness“ als „Weltbild“, der macht auf mich nicht den Eindruck, als habe er sich aktuell wirklich mit gesellschaftskritischen Gruppen befasst. Der wirkt auf mich eher, als habe er sein „Wissen“ eher aus zweiter Hand, etwa aus denjenigen Texten rechter Autoren, in denen dieser Begriff benutzt wird, um Aktivismus verächtlich zu machen.

Und das lässt nichts Gutes erwarten in Bezug auf die Äußerungen zu den anderen Themen, die uns im Artikel des Humanistischen Pressedienstes noch erwarten.

Diesen Text habe ich zuerst als Bluesky-Thread geschrieben.

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