„Modernes“ vs. „altes“ ABA

Dieser Text entstand als Twitter-Thread in Reaktion auf eine Twitter-Diskussion über ABA, in der auch der Begriffe „modernes“ ABA auftauchte. Wer wissen möchte, was ABA ist, bitte schön: „Was ist ABA?


Sprechen wir über den „Markenkern“ von ABA (Applied Behavioral Analysis), und sprechen wir über die tatsächliche Situation in den USA.

Der „Markenkern“

Der Kern von ABA – in den 60ern wie auch heute immer noch – ist die Konditionierung. Das Herausfinden, was beim jeweiligen Kind als Verstärker funktioniert. Das Festlegen von Zielen – was man an neuen Verhaltensweisen erreichen will, was man als Verhaltensweisen löschen will. Der Einsatz von Verstärkern, um Verhaltensweisen zu belohnen. Der Entzug von Verstärkern, geplantes Ignorieren des Kindes, um Verhaltensweisen zu löschen.

Ivar Lovaas, der Erfinder von ABA in den 60ern, hat noch ganz offen Aversiva verwendet. Elektroschocks. Schläge. Das zumindest wurde im „modernen“ ABA abgeschafft.

Aber ist es denn nicht auch eine Art Bestrafung, wenn ein Kind sein Lieblingsspielzeug, oder seine geliebte Kuscheldecke, nur während der Therapie benutzen darf, und auch nur dann, wenn es gehorcht (und auch dann nur kurz)? Ansonsten wird es ihm wieder weggenommen?

Ist es nicht auch eine Bestrafung, wenn ein Kind etwas tun soll, was es unglaublich unangenehm findet, dann dadurch, dass die Erwachsenen darauf bestehen, völlig außer sich gerät, und dann die Mutter es ignoriert, so tut, als ob es nicht da wäre, und das Kind mit dem Schmerz, mit der Enttäuschung, dem Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, allein lässt? Kleinkinder, wohlgemerkt, in einem Alter, in dem auch neurotypische Kinder sich noch nicht selbst regulieren können.

Ziele:

Ich hab jetzt schon einiges über Forschung zum Bereich ABA gelesen. Alles, was Autismus-Symptom ist, kann zum Ziel einer Intervention werden. Augenkontakt herstellen, Stimming unterlassen, sich anfassen lassen. Korrekturwürdig kann sein: Auf Sachen zeigen, statt das Wort dafür zu sagen, oder aber etwas zu sagen, wenn gerade Kommunikation mit Bildkärtchen geübt wird. Alles Ziele, die schädlich sind für Autisten, weil sie Kompensationsmöglichkeiten nehmen und Stress erhöhen.

DAS ist das offizielle moderne ABA.

Kommen wir zur Situation in den USA.

In manchen Bundesstaaten gibt es Gesetze, dass nur noch ABA von Versicherungen finanziert werden dürfen. Das hat zu einer gewissen Grauzone geführt. Therapeuten, die eigentlich von ABA nicht viel halten, aber nur bezahlt werden, wenn sie ihr selbstgestricktes Konzept als ABA bezeichnen. Eltern, die selbst ein schlechtes Gefühl bei manchen Methoden und Zielen haben, aber keine andere Therapieform bezahlt bekommen.

Das führt dann zu einer inoffiziellen Aufweichung dessen, was wirklich in ABA-Therapien passiert.

Eltern, die in Absprache mit den Therapeuten darauf verzichten, alles als Ziele zu benennen, was normalerweise möglich wäre (z.B. Stimming eliminieren), und sich auf einzelne Punkte konzentrieren, z.B. Sprache lernen, oder selbstverletzendes Verhalten vermeiden (wobei ich dabei daruaf hinweisen möchte, dass die Methoden da nicht geeignet sind). Das wäre sozusagen „entschlacktes“ ABA.

Therapeuten, die von dem Prinzip der reinen Verhaltensbeobachtung und dem Geist als „Black Box“ abrücken und stattdessen den Eltern erklären, was im Kopf ihrer Kinder vorgeht, und wie man z.B. Meltdowns verhindern kann, statt den Kindern anzutrainieren, sie so weit wie möglich zu verbergen. Das ist dann schon kein ABA mehr, sondern eher bedürfnisorientiertes Elterncoaching.

Und ich habe sogar von einer Familie gelesen, die den ganzen Therapiestress über Bord geworfen hat, und wo der Therapeut statt zu „therapieren“ die Zeit als Babysitter mit dem Kind verbracht hat. Das ist dann noch nicht einmal mehr so etwas wie Therapie.

Vermutlich ist es Zufall, auf welche Art von Therapeut man trifft.

Aber solche Dinge, bedürfnisorientiertes Elterncoaching, Babysitting, ist nicht das „offizielle“, „moderne“ ABA, das weiterhin autistisches Verhalten mit Hilfe von Verstärkern wegtrainiert.

Wenn ABA sich reformieren wollte, um die Erfahrungen von AutistInnen ernstzunehmen, und um das anzubieten, was autistischen Kindern wirklich hilft, statt nur Symptome besser zu verbergen, dann, ja dann müssten sie ihren Markenkern austauschen. Das ganze System der Konditionierung. Da wäre es dann auch konsequenter, sie würden sich umbenennen oder etwas grundlegend Neues schaffen. Aber das so etwas passieren könnte, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.


Ich habe hier auch eine Linkliste zu ABA erstellt, die nach und nach erweitert werden wird.

Wie grausam das „alte“ ABA war, kann man im Beitrag „Und bist du nicht willig… das Erbe von ABA-Begründer Lovaas, Teil 1“ nachlesen.

Und dass Quälereien mit Elektroschocks zumindest am Judge Rotenberg Center in den USA ganz legal weitergehen, findet man im Beitrag „Die Folterschule für behinderte Kinder„.

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